Behandlungsgrundsätze
in der Therapie HIV-assoziierter Lymphome
Manfred Hensel, Franz
Mosthaf
Die wichtigsten Grundsätze
in der Diagnostik und Therapie HIV-assoziierte Lymphome sind 2014 in der
Onkopedia-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische
Onkologie (DGHO) zusamengefasst worden. Sie können auf der Onkopedia-Homepage eingesehen
werden: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/hiv-assoziierte-lymphome/@@view/html/index.html
Hintergrund
Die Inzidenz von malignen Lymphomen und
Kaposi-Sarkomen hat seit der Einführung einer effektiven ART abgenommen, wohingegen
die Inzidenz anderer Krebserkrankungen durch die längere Überlebenszeit der
Patienten zugenommen hat. Untersuchungen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft
niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (DAGNÄ) haben ergeben,
dass insbesondere die Inzidenz der cerebralen Lymphome stark rückläufig ist
(Hensel, Mosthaf 2011), wohingegen systemische Non-Hodgkin-Lymphome (NHL)
weniger stark sinken und weiterhin wesentlich häufiger auftreten als in der
gesunden Normalbevölkerung.
Non-Hodgkin-Lymphome
Diagnostik
Die notwendigen Untersuchungen unterscheiden sich
nicht von den Empfehlungen für Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen ohne
HIV-Infektion. Hinzu kommen Untersuchungen, die eine Einschätzung der
HIV-Infektion gestatten. Wegen des häufig sehr raschen und aggressiven
Krankheitsverlaufs sollte die Staging-Diagnostik ohne Zeitverzug, möglichst
innerhalb einer Woche erfolgen.
- Histologie
einschließlich Immunhistologie
Wenn immer möglich sollte die Entnahme eines vollständigen Lymphknotens
angestrebt werden, da dies am ehesten eine sichere Lymphomklassifikation,
die von therapeutischer und prognostischer Relevanz ist, erlaubt. Eine
Referenzuntersuchung durch ein spezialisiertes Zentrum (z.B.
Universitätsinstitute für Pathologie in Berlin, Kiel, Frankfurt, Würzburg,
Ulm) ist anzustreben.
- Körperliche
Untersuchung einschließlich neurologischem Status
-
- Bildgebenden
Verfahren
CT Hals, Abdomen und Thorax sowie ggf. anderer involvierter
Manifestationsorte.
- Punktionen
Knochenmark-Histologie,-und -Zytologie (ggf. zusätzlich
Immunphänotypisierung und Molekulargenetik) vor dem ersten Zyklus. Eine
Liquorpunktion ist bei klinisch vermutetem ZNS-Befall oder Vorliegen eines
Burkitt-Lymphoms/B-ALL erforderlich. Eine zeitgleiche intrathekale
Prophylaxe mit MTX ist bei letzteren Patienten (mit Burkitt-Lymphomen /
B-ALL) wegen des hohen Risikos eines ZNS-Rezidivs ebenfalls üblich. Die
Indikation zur diagnostischen Liquorpunktion bei den übrigen Patienten
wird seit den Publikationen von 2008 u.a. der DSHNHL kontrovers
diskutiert.
-
- Apparative
Untersuchungen
EKG, Echokardiographie, (Lungenfunktionsuntersuchungen bei spezieller
Indikation)
- Ergänzend
zu den Standard-Laboruntersuchungen
Bestimmung der T-Lymphoyzten-Subsets und der HIV-Viruslast;
Serologie: Hepatitis B, C, CMV, HSV, VZV, EBV, Toxoplasmose, Candida,
Aspergillus, TPHA.
Therapie
Seit der Einführung der cART (combinierte antiretrovirale Therapie) hat sich die
Therapierbarkeit maligner Lymphome dramatisch geändert. Besson et al. konnten
zeigen, dass Patienten mit NHL unter cART ein mittleres Überleben von 21,2+
Monaten erreichen konnten, im Gegensatz zu 6,3 Monaten bei Patienten vor
Einführung von cART (Besson 2001). Die deutsche Gruppe von Hoffmann et al.
demonstrierten ein Gesamtüberleben von 60% nach 5 Jahren bei 159 Patienten
durch Chemotherapie mit cART im vergleich zu ca. 20% bei denen, die nur 1
antiretrovirales Medikament erhielten und weniger als 5% bei denen ohne
antiretrovirale Therapie (Hoffmann 2003). In der deutschen HIV-Lymphomkohorte
liegt das Gesamtüberleben nach 2 Jahren bei 69% für Burkitt-Lymphome, 63% für
DLBCL und 43% für plasmoblastische Lymphome (Schommers 2015).
Die individuelle Prognose eines Patienten mit HIV und
NHL kann am besten durch den 'International Prognostic Index' (IPI), der bei
Patienten mit aggressiven Lymphomen ohne HIV-Infektion evaluiert wurde, in
Zusammenhang mit der CD4-Zellzahl abgeschätzt werden (Lim JCO 2005, Bower 2005,
Navarro 2007). Die Kombination aus IPI high- oder high-intermediate risk und
einer CD4-Zahl <100/µl wird als prognostisch besonders ungünstig gewertet
(Bower 2005). Patienten mit noch intaktem Immunsystem profitieren von einer
normal dosierten Chemotherapie mehr als Patienten mit bereits stattgehabten
opportunistischen Infektionen, schlechtem Performance-Status (nicht
lymphombedingt) und niedrigen (<50/mL) Helferzellen.
ART möglichst immer zeitgleich zur
Chemotherapie beginnen!
Bisher wurden keine randomisierten Studien
durchgeführt, die die Frage des Beginns der ART im Vergleich zur Chemotherapie
beantworten konnten. Auf Grund historischer Vergleiche (Vacher 2001) und
indirekter Hinweise aus anderen Studien (Little 2003) wird jedoch generell
empfohlen, schon begleitend zur Chemotherapie eine ART zu beginnen (Levine
2008). Durch eine sofort begonnene ART ist nur mit einer minimalen Zunahme der
Toxizität zu rechnen. Es sind jedoch eine bessere HIV-Kontrolle und weniger
opportunistische Infektionen zu erwarten (Hoffmann 2004). Der Einfluß der
Chemotherapie auf die Pharmakokinetik der ART ist gering
(Cyclophosphamid-Clearance sinkt 1.5 fach durch Indinavir,
Konzentrationserhöhung der aktiven Metaboliten von Cyclophosphamid durch
NNRTIs, Konzentrationserhöhung der aktiven Metaboliten von Vincristin durch
PIs, Verringerung der Konzentration der aktiven Metaboliten von Doxorubicin
durch PIs, siehe Mounier et al. 2010).
Praktische Empfehlungen zur Auswahl der
ART:
Auf ein sich überlappendes Nebenwirkungsspektrum ist
zu achten. Medikamente, die wahrscheinlich eine Neuropathie
(Stavudin/Didanosin) oder Hämatotoxizität (AZT) verursachen, sind möglichst zu
vermeiden. Integraseinhibitoren haben das geringste
Interaktionsrisiko mit den häufigsten Zytostatika. Am meisten Erfahrung gibt es mit Raltegravir, weniger mit dem neueren Dolutegravir. Sie sind als
Kombinationspartner für die Kombinations-NRTIs Truvada oder Kivexa oder andere
NRTIs besonders geeignet. Bei hoher Viruslast können Truvada oder Kivexa
ggf. auch mit einem Protease-Inhibitor (PI) kombiniert werden. PI’s haben den
Vorteil einer höheren Resistenzbarriere, was bei Patienten mit
chemotherapieinduzierter Mukositis, die vorübergehend keine Tabletten einnehmen
können, zum Tragen kommt. Sie bergen allerdings, insbesondere bei Boosterung
mit Ritonavir, ein hohes Interaktionspotenzial, welches für jedes einzelne
Zytostatikum und die Begleitmedikation evaluiert werden muss. Während der
Chemotherapie sind engmaschige Kontrollen der Helferzellen nicht hilfreich, da
die Leukozytenwerte durch die Toxizität der Chemotherapie erheblichen
Schwankungen unterworfen sind. Sinnvoller ist ein Monitoring der Serumspiegel
der ART und der Viruslast.
Auswahl der Chemotherapie
Wir befürworten auf Grund der in den Onkopedia-Leitlinien beschriebenen Datenlage heute den kombinierten Einsatz von 6 Zyklen CHOP, alle 21 Tage, mit dem monoklonalen Anti-CD20-Antikörper Rituximab (375mg/m2,
Tag 1 zusammen mit CHOP). Bei Patienten mit CD4-Zahl > 100/µl. Zusätzlich sollte
routinemäßig G-CSF ab Tag 6 oder einmalig Pegfilgrastim an Tag 4, 5 oder 6
gegeben werden.
Dosisadjustiertes EPOCH wird vor allem in den USA eingesetzt. Dieses in Deutschland eher unübliche Schema führte als 4-tägige Dauerinfusion in Kombination mit Rituximab in zwei Phase II-Studien zu CR-Raten von 73% bzw. 91% und einem Überleben von 63% nach 2 Jahren bzw. 68% nach 5 Jahren (Dunleavy et al. 2010). Da eine Überlegenheit von R-EPOCH gegenüber R-CHOP bisher nicht in prospektiv-randomisierten Studien gezeigt wurde, die Verabreichung von EPOCH im Vergleich zu CHOP jedoch mit einem deutlich höheren Aufwand verbunden ist, ist die Gabe von R-EPOCH bisher kein Standard (B-II). Eine randomisierte Studie, bei der R-CHOP mir DA-EPOCH-R miteinander verglichen wurde, zeigte keinen Vorteil, weder für EFS noch OS, für DA-EPOCH-R, wohl aber einen erhöhten Aufwand und erhöhte Toxizität. (Wilson 2016, Blood, 128:469).
Mindestens für die Dauer der Chemotherapie und 1 Monat darüber
hinaus sollte bei allen Patienten ungeachtet des Immunstatus eine
PjP-Prophylaxe mit z.B. Pentamidine oder Cotrimoxazol durchgeführt werden.
Patienten mit einer CD4-Zahl <200/µl sollten zusätzlich eine
Infektprophylaxe mit einem oralen Gyrasehemmer sowie einem Antimykotikum
erhalten. Da unter Rituximabtherapie Hepatitis-B Reaktivierungen beschrieben
sind, sollte vor Aufnahme der Therapie eine Hepatitis-B-Serologie und eine Hepatitis E-Serologie veranlasst
werden. Unter laufender Therapie empfehlen sich regelmässige Kontrollen.
Das Hodgkin Lymphom
Die Inzidenz des Hodgkin-Lymphoms (HL) hat seit der
Einführung der ART überraschenderweise zugenommen. Es tritt im Gegensatz zu den NHLs meist bei
Patienten unter ART auf, häufig ist bei Erstdiagnose des HL die Viruslast unter
der Nachweisgrenze. Die Ursache hierfür ist möglicherweise die durch eine
erfolgreiche ART ermöglichte längere Lebenserwartung sowie die Schaffung eines
funktionierenden Immunsystems, welches offenbar für die Entstehung des HL
notwendig ist. Das HL tritt bei therapierten HIV-patienten mittlerweile genauso
häufig auf wie die HIV-assoziierten NHLs (Hoffmann 2015). Entsprechend den Therapien
bei Non Hodgkin Lymphomen soll neben den Lymphom-assoziierten Risikogruppen
eine Unterscheidung nach infektiologischen Risikogruppen (s.o.) erfolgen. Patienten in frühen Stadien sollten 2 Zyklen ABVD erhalten,
gefolgt von einer involved-field (IF) Bestrahlung mit 20Gy. Standardtherapie für
Patienten mit intermediären Stadien sind 4 Zyklen ABVD gefolgt von 30 Gy
IF-Strahlentherapie. Patienten mit fortgeschrittenen Stadien sollten 6-8 Zyklen
ABVD oder, fehlende Komorbidität und guter Performance-Satus vorausgesetzt, 6
Zyklen BEACOPP-Basis erhalten.
Besondere Probleme bei
einzelnen Subtypen von HIV-assoziierten Lymphomen: siehe Onkopedia-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und
Medizinische Onkologie (DGHO) mit Literaturverzeichnis: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/hiv-assoziierte-lymphome/@@view/html/index.html
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