HIV und monoklonale
Gammopathie
Manfred Hensel
Ein typisches Laborphänomen bei der Erstdiagnose einer
HIV-Infektion ist die polyklonale Immunglobulinstimulation. Gelegentlich wird die
HIV-Infektion bei der Abklärung einer polyklonalen oder monoklonalen
Immunglobulinvermehrung erstmals festgestellt. Tritt die monoklonale
Gammopathie (siehe Grafik) ohne weitere Krankheitszeichen auf, d.h. kein
Nachweis von Osteolysen, Plasmazellanteil im Knochenmark unter 10 %,
Paraproteinspiegel niedrig, keine Lymphome, Anämie, Niereninsuffizienz oder
Hyperkalzämie, so lautet die Diagnose "monoklonale Gammopathie unklarer
Signifikanz" (MGUS). Bei HIV-negativen Individuen wird eine MGUS umso häufiger
diagnostiziert, je älter die Patienten sind. Ca. 5 % der Bevölkerung über 70
Jahre hat eine monoklonale Gammopathie, der Anteil ist höher bei 80 oder 90
jährigen (Kyle 2006). Ca. 25 % der Patienten mit MGUS entwickeln im Laufe von
ca. 20 Jahren ein Multiples Myelom(Kyle 2002).
Eiweißelektrophorese mit M-Gradient, monoklonale Bande in
der Immunfixationselektrophorese
Welche Bedeutung das Auftreten einer monoklonalen
Gammopathie bei HIV-Infizierten hat, ist bisher nicht sehr gut erforscht.
Wenngleich indolente Lymphome bei HIV-Infizierten ein relativ seltenes Phänomen
im Vergleich zu den aggressiven Lymphomen sind, ist die Inzidenz z.B. eines Multiplen
Myeloms dreimal so hoch wie bei Nicht-Infizierten. Es stellt sich die Frage,
wie häufig das Auftreten einer monoklonalen Gammopathie heutzutage beim breiten
und immer frühzeitigeren Einsatz der ART ist, ob es früh im Verlauf der
Infektion auftritt oder erst später und welche Bedeutung es für die Morbidität
und Mortalität hat. Kann das Auftreten oder das Ausmaß einer monoklonalen
Gammopathie die Entwicklung eines Myeloms oder anderer lymphoproliferativer
Erkrankungen voraussagen?
Die Ursache der Gammopathie im Kontext HIV ist
vielschichtig. Der progressive Verlust der CD4-Lymphozyten ist das zentrale
Ereignis der HIV-Infektion. Zusätzlich ist aber auch eine abnorme Funktion der
B-Lymphozyten in allen Stadien der HIV-Infektion gut beschrieben. Sie ist
charakterisiert z.B. durch abnorm niedrige Antikörperspiegel gegen spezifische
Pathogene und eine schlechte Impfantwort. Paradoxerweise ist der Serumspiegel
der Immunglobuline, vor allem der Subtyp IgG, erhöht. Er ist Ausdruck einer
unspezifischen polyklonalen B-Zell-Aktivierung. Diese ist zurückzuführen auf
eine dysregulierte T-Zell-Funktion, hohe Spiegel an Interleukin-6 und 10 sowie
auch durch direkte Interaktion von HIV mit B-Zellen. Neben der Stimulation durch HIV selbst werden
die B-Zellen auch durch andere Antigene, Mitogene oder zusätzliche Erreger
stimuliert, zum Beispiel HBV, HCV, EBV oder HHV-8. Die chronische polyklonale Expansion der
B-Lymphozyten resultiert in einer follikulären Hyperplasie in vergrößerten,
reaktiven Lymphknoten, der so genannten "persistierenden generalisierten Lymphadenopathie",
sowie einer polyklonalen Hypergammaglobulinämie. Hält dieser Prozess lange an, so kann es zu
einer klonalen Selektion von abnormen B-Lymphozyten kommen. Der Prozess der
Entwicklung von malignen Lymphomen bei HIV-Infizierten ist jedoch vielschichtiger.
In Zusammenhang mit der reduzierten Immunüberwachung bei einer
fortgeschrittenen HIV-Infektion kann zum Beispiel EBV auf verschiedenen Wegen
zu maligner Transformation der Lymphozyten führen. Auch HCV kann B-Zellen
infizieren, chronisch stimulieren und deren Funktion stören. Die Assoziation
von HCV mit monoklonaler Gammopathie, gemischter Kryoglobulinämie,
Autoimmunerkrankungen und Lymphomen ist lange bekannt.
Eine ganze Reihe von meist retrospektiven Studien zur
Häufigkeit der monoklonalen Gammopathie bei HIV-infizierten, überwiegend mit
kleinen Fallzahlen, wurde in den vergangenen 3 Jahrzehnten publiziert. In den
älteren Publikationen aus den achtziger Jahren wurden Prävalenzen von 2,5-12 %
beobachtet. Neuere Arbeiten aus der HAART-Ära, publiziert nach 2000, geben
durchgehend eine Prävalenz der monoklonalen Gammopathie von ca. 3-5 % in der
HIV-infizierten Population an. In einer
Querschnittsuntersuchung bei 320 HIV-infizierten aus Boston (viele unter ART,
genauer Anteil unklar) korrelierte das Auftreten der monoklonalen Gammopathie
mit jüngerem Alter, hoher Viruslast und höherer Helferzellzahl (Konstantinopoulus
2007). Eine aktuelle Pilotstudie
innerhalb der Multicenter AIDS Cohort Study untersuchte Serumproben von 172
HIV-Infizierten kurz vor Beginn der ART und Proben einer Kontrollgruppe von 166
HIV-negativen Individuen. Der
Serumspiegel von IgG, A, M und freien Leichtketten (FLC) war signifikant höher
bei HIV-positiven, ebenso die Kappa/Lambda-Ratio und die MGUS-Prävalenz (2,3 %
versus 0 %) (Breen 2010). Eine Studie an
Serum- und Urinproben von 368 HIV-Infizierten aus Südafrika zeigte, dass das
Auftreten monoklonaler Banden (in 3,2 %) nicht mit der CD4-Zahl und der
Viruslast korrelierte (van Vuuren 2010). Bei 25 HIV-infizierten Personen mit
monoklonaler Gammopathie zeigte sich, dass deren Alter deutlich geringer war
als bei MGUS-Patienten ohne HIV-Infektion. Die Präsenz zusätzlicher anderer
viraler Infektionen wie HBV, HCV und HHV 8 war hoch. Die Patienten hatten
durchgehend gute Helferzellen (Median 350/mm3). Bei einigen
Patienten ging durch Einleitung einer ART das Paraprotein zurück (Amara 2006). Die
m.E. wichtigste Studie zur Bedeutung der monoklonalen Gammopathie und der
freien Leichtketten wurde kürzlich von der Arbeitsgruppe am NCI publiziert. In
einer Case-Control-Studie wurden 66 HIV-infizierte Patienten mit
diagnostiziertem NHL (allesamt aggressiv) verglichen mit 225 HIV-positiven
Kontrollpersonen. Von allen wurden eingelagerte Serumproben aus den 5 Jahren
vor NHL-Diagnose oder Studieneinschluss untersucht. Es zeigte sich, dass k- undλ-FLCs bei NHL-Patienten 2-5
Jahre vor Diagnose signifikant höher waren. Der Spiegel der FLCs war dosisabhängig
hoch prädiktiv für die Entwicklung eines NHL (RR 3.7 für k-FLCs, 8.1 für λ-FLCs 2-fach über der Norm). Es fand sich keine Korrelation mit IgG, A, oder
M-Serumspiegeln oder dem M-Protein. Ein solches wurde bei 3% der NHL-Patienten und
4% der Kontrollen gefunden. Der prädiktive Wert der FLCs hing von der Anzahl
der Helferzellen ab. Er war deutlicher bei höheren Helferzellen (> 100/mm3).
Eine abnorme FLC-Ratio wurde bei 20 % der Patienten, die später ein NHL
entwickelten, gefunden. Die Autoren schlussfolgern, dass FLCs ein sensitiver
Marker für B-Zell-Aktivierung und -Dysfunktion sind und hilfreich zur
Identifikation von HIV-Infizierten mit erhöhtem NHL-Risiko sein könnten
(Landgren 2010). In einer retrospektiven Studie bei 1219 Eiweißelektrophoresen in einer großen HIV-Kohorte zwischen 1997 und 2012 fanden sich 137 (11,3%) monoklonale Gammopathien in einer Altersgruppe von im Median 41 Jahren (Casanova 2015). Nach einem medialen Follow-up von 6,8 Jahren war der M-Gradient bei 66,2% der Patienten verschwunden. Das Verschwinden war assoziiert mit einer erfolgreichen ART und dem Fehlen einer Hepatitis C.
Welche Schlussfolgerungen können aus diesen Beobachtungen
gezogen werden? Zunächst einmal sollte bei jeder Abklärung der Ursache einer
monoklonalen oder polyklonalen Immunglobulinstimulation immer ein HIV-Test
durchgeführt werden. Mit dem Auftreten einer
monoklonalen Gammopathie kann bei ca. 3-5 % der HIV-infizierten gerechnet
werden. Wahrscheinlich ist sie bei HIV-Infizierten nicht prädiktiv für die
Entwicklung von Lymphomen, weder von indolenten noch von aggressiven. FLCs sind
möglicherweise aussagekräftiger. Die Auswirkung der ART auf den prädiktiven
Wert der FLCs ist noch unklar. Möglicherweise kann, wenn sich diese Befunde in
weiteren Studien bestätigen, der Spiegel oder die Ratio der FLCs mit einbezogen
werden bei der Indikation zur Einleitung einer ART. Größere prospektive
Studien mit regelmäßiger, evtl.
jährlicher Bestimmung von B-Zell-Aktivierungsmarkern wie z.B. Eiweißelektrophorese, Immunglobulinspiegel, sCD30
oder FLCs, könnten die Bedeutung dieser Parameter bei der Prädiktion von
malignen Lymphomen und anderen Komplikationen sowohl bei behandelten als auch
unbehandelten Patienten zukünftig genauer evaluieren.
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