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Das HIV-assoziierte Analkarzinom

Franz Mosthaf

Ätiologie und Epidemiologie

Das Analkarzinom ist insgesamt eine seltene Entität und war bis vor wenigen Jahren vor allem eine Erkrankung der älteren Frau. Weltweit steigt derzeit allerdings die Inzidenz. Diese beträgt in Deutschland ca. 1 pro 100.000 pro Jahr bei Frauen und 0,5 pro 100.000 pro Jahr bei Männern. Der Erkrankungsgipfel liegt bei nicht HIV-Infizierten in der 7. bis 8. Lebensdekade. Als Risikofaktoren sind bei nicht HIV-Infizierten ein früher erster Sexualverkehr, eine hohe Promiskuität, Geschlechtskrankheiten und der rezeptive Analverkehr beschrieben. Weiterhin scheint ein signifikanter Einfluss des Rauchens vorzuliegen.

Ohne Bedeutung sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen.

Ätiologisch ist ebenso wie beim Cervix-Karzinom eine Infektion mit humanen Papillomaviren von Bedeutung, auch hier in erster Linie der Subtyp 16.

Mittlerweile sehr gut belegt ist eine 30- bis 100-fach erhöhte Inzidenz von Analkarzinomen bei HIV-infizierten Männern. Ursächlich ist hier neben der hohen Durchseuchungsrate mit humanen Papillomaviren offensichtlich die durch die HIV-Infektion verursachte langdauernde Immunsuppression und die durch die antiretrovirale Therapie bedingte längere Überlebenszeit der HIV-Infizierten, welche den betroffenen Patienten dann die Entwicklung eines Analkarzinoms 'erleben lässt'.

Anatomie

Der Analkanal zieht von der Anorektallinie zum Analrand. Die Linea dentata markiert den Übergang zwischen Schleimhaut und Plattenepithel. Unmittelbar über der Lina dentata liegt ein Übergangsepithel, darunter ein nicht verhornendes Plattenepithel, welches in die Perianalhaut übergeht.

Die Lymphdrainage erfolgt in den einzelnen Abschnitten des Analkanals unterschiedlichen Wegen:Proximal entlang der Arteria mesenterica inferior zu den perirektalen Lymphknoten. Unmittelbar oberhalb der Linea dentata zum System der internen iliakalen Lymphknoten. Das Epithel unterhalb der Linea dentata und die perianale Haut drainiert zu den inguinalen, femoralen und zu den externen iliacalen Lymphknoten.

Klinik

Kleine Karzinome finden sich manchmal als Zufallsbefund bei der Behandlung von Marisken.

Die größeren Karzinome sind meist im distalen Anakanal lokalisiert und äußern sich in Form von Ulcera mit erhabenem Randwall, nicht heilenden Perianalabszessen, Fisteln, Blutungen, Schmerzen, Inkontinenz. In fortgeschrittenen Stadien sind oft derbe Lymphknoten in der Leistenregion zu tasten. Insbesondere HIV-Infizierte scheinen häufig bei Diagnose bereits fortgeschrittenen Stadien aufzuweisen.


Screening und Diagnostik

Bei HIV-Infizierten empfiehlt sich deswegen eine regelmäßige klinische Untersuchung der Analregion in sechs- bis 12-monatigen Abständen. Das Vorliegen von Condylomata accuminata (auch anamnestisch) sollte zur erhöhten Wachsamkeit führen!

Besonders geachtet werden sollte auf Ulcera mit erhobenem Randwall, Perianalabszesse, Fisteln und Lymphknoten in der Leistenregion. Bei Frauen empfiehlt sich unbedingt auch die Untersuchung von Vulva, Vagina und Cervix, bei den Männern des Penis wegen der Gefahr HPV-assoziierte Karzinome bei normalerweise selber Ätiologie.

Bei suspektem, inspektorischem Befund wird eine Rektoskopie bzw. Proktoskopie empfohlen, welche bei schmerzhaften Analfissuren am besten in Narkose erfolgt.

Als ergänzende diagnostische Maßnahmen kommen die Endosonographie und bildgebende Verfahren wie Computertomographie und MRT in Frage. Im Rahmen des Stagings empfiehlt sich eine Bildgebung der Leber und eine Röntgen-Thorax Untersuchung, um eine evtl. Metastasierung zu auszuschließen. Falls verfügbar, sollte auch ein PET-CT durchgeführt werden.

Bei vorliegender Symptomatik erscheint auch eine parallele Untersuchung auf Lues, Gonorrhoe und Chlamydien sinnvoll.

Die Stadieneinteilung des Analkarzinoms erfolgt nach dem TNM-System.

Therapie

Bis in die Mitte der achtziger Jahre war das Analkarzinom eine Domäne der Chirurgie. Die lokale Excision ist auch heute noch die Methode der Wahl für kleine Tumore am Analrand, welche ein gleiches Wachstumsverhalten wie andere Hauttumore zeigen. Dieses operative Vorgehen hat sich allerdings im Analkanal auch bei kleinen Tumoren nicht bewährt.

Für die größeren Tumore war früher die abdomino-perineale Excision empfohlen. Diese war allerdings mit einer hohen Lokalrezidivrate von 50% assoziiert, bei einer 5-Jahresüberlebenstrate von 50-70%.

Bei T1-Tumoren wurde zeitweise von einigen Untersuchern die alleinige Bestrahlung propagiert. Verschiedene Phase- II Studien haben mittlerweile gezeigt, dass die kombinierte Radiochemotherapie auch hier wie bei größeren Tumoren dem rein strahlenherapeutischem Vorgehen überlegen ist.

Bei der kombinierten Radiochemotherapie erreicht man eine exzellente lokaler Kontrolle durch die Hinzunahme von 5-FU und Mitomycin, wohingegen die Ergänzung um Cisplatin als drittes Zytostatikum bei schlechter Verträglichkeit lediglich zu erhöhter Morbidität führt.

Die Strahlendosis lag bei allen Untersuchungen zwischen 40 und 50 Gy, wobei zum Teil ein boost von 15 Gy verabreicht wurde. Unklar ist, ob beim lokal fortgeschrittenen Karzinom die primäre Erhöhung der Dosis die Behandlungsergebnisse verbessert.

Ein neoadjuvanter Therapieansatz führte weder zur Verbesserung der lokalen Kontrolle noch zur Reduktion der Fernmetastasierung sondern verminderte sogar die kolostomiefreie Überlebensrate.

Zusammenfassend wird für die Primärtherapie im Moment folgendes Vorgehen empfohlen:

  • Eine lokale Excision nur bei gut differenzierten Analrandkarzinomen (T1, N0) d.h < 2cm im Durchmesser und ohne Hinweis für eine Lymphknotenbeteiligung!
  • In allen anderen Fällen eine kombinierte Radiochemotherapie mit 5FU und Mitomycin und einer Strahlendosis von 45-50 Gy, bzw. erhöhter Strahlendosis falls zur Erholung der Haut die Therapie im Intervall durchgeführt werden muss.
  • Als Zytostatika sollten 5-FU und Mitomycin gewählt werden. Diese Kombination scheint effektiver und verträglicher zu sein als 5FU mit Cisplatin oder Mitomycin mit Cisplatin, oder eine Mono- bzw. Dreifachtherapie.
  • Am effektivsten ist die ununterbrochene Radiochemotherapie mit 45-50 Gy, welche für alle T1-2, N0 Tumore empfohlen wird.
  • Bei fortgeschrittenen Tumoren können höhere Strahlendosen benötigt werden, insbesondere wenn eine Unterbrechung der Radiatio aus Toxizitätsgründen notwendig wird.

Mit dieser Vorgehensweise werden colostomiefreie Überlebensraten von 60 bis 95 % und komplette Remissionen bis 85 % erreicht.

Cave:

Im Rahmen der Radiochemotherapie sind Medikamenteninteraktionen zwischen der ART (antiretroviralen Therapie) bzw. den Prophylaxen und Suppressionstherapien und den Zytostatika bzw. der Begleitmedikation besonders zu beachten:

  • Wegen der potentiell nephrotoxischen Wirkung von Mitomycin-C sollten tenofovirhaltige Medikamente (Viread®, in Truvada®, in Atripla®; in Eviplera®) während der Radiochemotherapie nur mit größter Vorsicht unter engmaschiger Kontrolle der Nierenfunktion eingesetzt werden. (Als Alternative bieten sich TAF- [TenofovirAlaFenamid] haltige Medikamente an: Descovy®; Odefsey®) 
  • Bei der Gabe von Zidovudin (Retrovir®; in Combivir®, in Trizivir®) kann die potentiell knochenmarktoxische Wirkung die chemotherapieinduzierte Granulozytopenie verstärken.
  • Während der Therapie mit 5-FU darf das Virustatikum Brivudin nicht eingesetzt werden, da es zu starker Serumspiegelerhöhung und damit nicht kalkulierbarer Toxizität von 5-FU führen kann.
  • Aufgrund der potentiell hepatotoxischen Wirkung von Mitomycin-C ist bei bei Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion, oder bei Vorliegen einer infektiösen Hepatitis besondere Vorsicht geboten.
  • Aufgrund der potentiell knochenmarktoxischen Wirkung der RT/Cht sind bei HIV-positiven Patienten engmaschige Kontrollen des Blutbildes, insbesondere der Leukozytenzahl und der Helferzellzahl unabdingbar. Empfohlen werden:
    • vor Beginn der Radiochemotherapie mindestens: ein kompletter Immunstatus; eine Hepatitis B- und C-Serologie, Bestimmung der Leber-und Nierenfunktionsparameter sowie ein komplettes Blutbild.
    • Während und bis mindestens 4 Wochen nach Beendigung der Radiochemotherapie: mindestens wöchentlich Bestimmung der Leber- und Nierenfunktionsparameter sowie ein komplettes Blutbild,
    • mindestens vier-wöchentlich ein Immunstatus mit Bestimmung der CD4-Helferzellzahl.

Vorgehen beim Patienten mit schlechter Immunitätslage und/oder koinzidenten Infektionen oder Malignomen bzw. schlechtem Allgemeinzustand:

Hier empfiehlt sich ein situationsadaptiertes Vorgehen im Sinne einer größtmöglichen Palliation.

Dies bedeutet entweder eine reine Schmerztherapie oder reduzierteStrahlendosis, verlängerte Applikationsintervalle der Radiochemotherapie, Verzicht auf Mitomycin-C in der Chemotherapie oder aber eventuell die Anlage eines Anus praeter. Das jeweilige therapeutische Vorgehen ist in enger Absprache zwischen HIV-Behandler, Onkologen, Radioonkologen und Chirurgen unter Einbeziehung der Wünsche des Patienten unter besonderer Berücksichtigung der Lebensqualität festzulegen und bei Änderung des Zustandes des Patienten jeweils neu zuüberdenken.

Nachsorge

Da mit der tumorspezifischen Therapie weder das ätiologische Agens (HPV-Infektion) noch die spezifischen Wachstumsbedingungen (persistierende Immunsuppression) beeinflusst werden, ist beim HIV-Infizierten im Vergleich zum nicht Immunsupprimierten eine intensivierte Nachsorge bzw. Überwachung nötig.

Hierzu werden folgende Empfehlungen gegeben:

Klinische Kontrollen im Abstand von mindestens drei Monaten mit

  • Anamnese
  • Inspektion des Anus und digital rektale Untersuchung
  • Palpation der inguinalen Lymphknoten
  • MRT

Eine postoperative Radiochemotherapie sollte immer dann erwogen werden, wenn bei der Operation von Marisken eine Karzinom diagnostiziert und dieses nicht sicher in toto excidiert wurde oder wenn in den seltenen Fällen der radikalen Chirurgie als Primärtherapie der Resektionsrand nicht tumorfrei war.

Ein klinisches Staging sollte nach sechs bis acht Wochen erfolgen. Besonderes Augenmerk sollte auf die Inguinalregion gelegt werden. MRT-Befunde können die klinische Untersuchung gut ergänzen und als weitere Ausgangsbefunde dienen, allerdings auch zu einem 'overstageing' führen und sollten deswegen immer im Kontext interpretiert werden.

Verdächtige Befunde sollten histologisch abgeklärt werden. Nur bei ausgedehntem Resttumor sollte eine Rektumexstirpation erfolgen.

Wie Daten von Glynne-Jones et al. zeigen, sollte bei sorgfältiger Überwachung eine Remissionsbeurteilung frühestens 6 Monate nach Therapiebeginn erfolgen, da bis dahin die Rate des kompletten klinischen Ansprechens noch zunimmt und somit unnötige Operationen vermieden werden können.

Prävention

Geschützter Geschlechstverkehr (Kondom). Weiterhin wird mittlerweile eine HPV-Impfung - nicht nur bei Mädchen sondern auch bei Jungen und Heranwachsenden - zur Prävention empfohlen.

Allerdings wird darauf hingewiesen, dass homosexuelle Männer oft mit mehrerern HPV-Typen infiziert sind und somit Imfpstoffe gegen mehr HPV-Typen in dieser Gruppe einen grösseren Schutz versprechen. 

Palefsky J. et al.: HPV vaccine against anal HPV infection and anal intrepithelial neoplasia NJM 2011; 365: 1576-85
Heinzl S: Deutsches Ärzteblatt Jg. 109 Heft 1-2 9. Januar 2012: 30
Glynne-Jones R et al. Lancet Oncology 2017; 18(3): 347-56