Dermatologische Nebenwirkungen unter antiretroviraler Therapie
Martin Hartmann
Exantheme
Typische Arzneimittelnebenwirkungen sind makulopapulöse Exantheme, die am häufigsten zwischen dem 10. und 14. Tag der Therapie auftreten. Klinisch imponieren stammbetonte, symmetrisch verteilte makulöse bis makulopapulöse exanthematische Eruptionen mit teils ausgeprägten Juckreiz. Vor der Zeit der antiretroviralen Therapie (ART) waren diese Arzneimittelexantheme bei der Therapie der opportunistischen Infektionen z.B. nach Sulfonamidgabe bei Pneumocystis-jiorveci Pneumonie (PjP) häufig. Nachdem die PjP und die zerebrale Toxoplasmose unter ART seltener wurden, nahmen diese HIV-assoziierten Arzneimittelreaktionen ab. Mit Einsatz der nicht nukleosidalen reverse Transkriptaseinhibitoren (NNRTs) ab 1995 wurden erneut Arzneimittelexantheme in bis zu 30% beobachtet. Zu den NNRTI der ersten Generation zählen Efavirenz (Sustiva®), Nevirapin (Viramune®), der zweiten Generation Etravirin (Intelence®) und Rilpivirin (Edurant®). Nicht selten bestand bei diesen Patienten anamnestisch eine Sulfonamidallergie. Im Gegensatz dazu lösten die ersten Proteinaseinhibitoren (PI) nur sehr selten allergische Reaktionen aus, bei Fosamprenavir (Telzir®) und Atazanavir (Reyataz®) werden in ca. 5% makulopapulöse Arzneimittelreaktionen beschrieben. Unter Therapie mit Integraseinhibitoren werden allgische Exantheme kaum noch gesehen.
Grundsätzlich kann erwogen werden, die Therapie bei Arzneimittelexanthemen fortzusetzen, wenn keine urtikariellen oder bullösen Hautveränderungen vorliegen, die Schleimhaut nicht betroffen ist und keine systemische Zeichen (z.B. Fieber) auftreten, da dann die Gefahr einer schweren Arzneimittelreaktion gering ist. Therapeutisch können bei Juckreiz Antithistaminika gegeben werden, Hyposensibilisierungen wurden erfolgreich durchgeführt.
Schwere Hautreaktionen treten am häufigsten bei Nevirapin, seltener bei Delavirdin und Efavirenz auf. Diese werden eingeteilt in Stevens-Johnson-Syndrom (SJS), früher auch Erythema exsudativum multiforme majus genannt, SJS/TEN-Übergangsform und toxisch-epidermale Nekrolyse (TEN). Am Integument werden multiforme Erytheme beobachtet, die meist nicht die konzentrische Ringform des Erythema exsudativum multiforme (EEM) aufweisen, Erosionen an den Schleimhäuten, den Körperöffnungen mit Krustenauflagerungen oder weißlichen Pseudomembranen. Typisch ist eine Mundschleimhautbeteiligung. Bei SJS/TEN-Übergangsform sind 10 bis 30 % der Haut betroffen, bei der TEN mehr als 30 % der Haut. Die Therapie besteht im Absetzen des Medikamentes und entspricht der einer schweren Verbrennung. Die Mortalität ist bei der TEN deutlich höher als beim SJS. Bei V.a. eine schwere Arzneimittelreaktion kann das Dokumentationszentrum in Freiburg kontaktiert werden, die diese Fälle sammeln und weiterhelfen können ( https://www.uniklinik-freiburg.de/hautklinik/dokumentationszentrum-schwerer-hautreaktionen.html).
Seltene Nebenwirkungen:
Reaktionen an der Einstichstelle
In den Zulassungsstudien des Fusion-Inhibitors Enfuvirtide (T20), der subkutan gegeben werden muss, wurde bei insgesamt 98 % der Patienten über Rötungen, Verhärtungen oder auch subkutanen Knoten (76%) an der Einstichstelle geklagt. Bei 3% der Patienten musste die Therapie deswegen abgebrochen werden. Sie zählen nicht zu den allergischen Reaktionen, da für diese Reaktion Zytokine verantwortlich sind, die durch hohe Konzentrationen des Fusion-Inhibitors freigesetzt werden. Massagen der Einstichstelle und Umgebung können die Symptome lindern. Solche Reaktionen an der Eintrittstelle treten auch bei anderen Immuntherapeutika (zum Beispiel TNF-alpha Inhibitoren) auf.
Retinoid ähnliche Nebenwirkungen (PIs)
Unter der Therapie mit Proteaseinhibitoren wurden schon während der Zulassungsstudien Xerosis, Haarausfall oder Unguis incarnatus (eingewachsene Zehennägel) beobachtet. Diese Nebenwirkungen wurden vor Jahren bei der Therapie mit Retinoiden beobachtet und deshalb so genannt. Unter der Therapie mit Indinavir (Crixivan®) wird diese Nebenwirkungen am häufigsten beobachtet. Wird Indinavir mit Ritonavir "geboostert" sinkt die Häufigkeit dieser Nebenwirkung. Die anderen Proteaseinhibitoren deutlich seltener diese Nebenwirkung.
Verschiedenes
Schon seit Jahren sind als Nebenwirkung bei der Therapie mit NRTIs (AZT, Retrovir®) longitutinale Melanoonychien (streifige Verfärbung der Nägel) oder palmare Hyperpigmentierung unter Emtricitabin (FTC, Emtriva®), seltener auch Wachstum der Augenwimpern bekannt (AZT).