Ausschluss oder Diagnose der HIV1-Infektion
Die Nachsorge der HIV1-exponierten Kinder kann in Zusammenarbeit mit dem betreuenden Kinderarzt ambulant durchgeführt werden. Es sollte jedoch aus Gründen der Vergleichbarkeit vermieden werden, dass bei demselben Kind HIV1-spezifische Untersuchungen (HIV1-PCR, Lymphozytensubpopulationen) zu unterschiedlichen Zeitpunkten in verschiedenen Labors oder mit verschiedenen Testkits durchgeführt werden. Alle Untersuchungsergebnisse sollten jedoch immer mit in der Versorgung HIV1-exponierter Kinder erfahrenen Ärzten diskutiert werden.
Ab der 30.SSW werden IgG-Antikörper von der Mutter transplazentar auf das Ungeborene übertragen. Durch diesen sogenannten "Nestschutz" ist das Neugeborene, bis zur Elimination dieser IgG-Antikörper meist im ersten Lebensjahr, vor gängigen Infektionskrankheiten geschützt, soweit sich seine Mutter damit auseinandergesetzt und eine IgG-Antwort gebildet hat.
Entsprechend werden bei einer HIV1-positiven Schwangeren auch IgG-Antikörper gegen HIV1 von der Mutter auf das Ungeborene übertragen.
Da der gängige HIV1-Test ein Antikörpertest ist, sind bis zur Elimination der mütterlichen Antikörper im zweiten Lebensjahr alle, d.h. auch die nicht HIV1-infizierten, Kinder HIV1-positiver Mütter serologisch HIV1-positiv. Der Nachweis von HIV1 muss daher im ersten beiden Lebensjahren direkt in Zellkulturen oder durch Nachweis von HIV1-Nukleinsäuren mittels HIV1-PCR erfolgen. Bei vergleichbarer Sensitivität und Spezifität wird wegen Schnelligkeit der Untersuchung, geringerem Aufwand, Kosten und erforderlichen Blutvolumina der HIV-PCR der Vorzug gegeben. Möglich ist der Nachweis von HIV1-DNA und HIV1-RNA. Bisher gibt es keine Untersuchungen, welche der beiden Analyseverfahren in Bezug auf die besondere Fragestellung der neonatologischen Infektionsdiagnostik sensibler ist.
Alle positiven HIV1-Testergebnisse sollten möglichst schnell durch eine zweite Blutprobe bestätigt werden.
Es ist zu beachten, dass einige kommerzielle HIV-PCR-Kits bei bestimmten afrikanischen und asiatischen HIV1-Subtypen versagen und damit falsch negative Resultate liefern können. Bei einem HIV1-positivem afrikanischen/asiatischen Elternteil muss daher immer neben der kindlichen Probe einmal mütterliches Blut als Positivprobe analysiert werden:
a) Ist das mütterliche Blut in der PCR HIV1-positiv, ist auch das Resultat der HIV1-PCR des Kindes zu verwerten.
b) Versagt der Nachweis von HIV1-Nukleinsäuren bei der Mutter, ist auch die HIV1-PCR-Analyse des kindlichen Blutes wenig verlässlich. Dann muss entweder eine Spezialuntersuchung mittels für den Subtyp passenden PCR-Primern in spezialisierten Labors veranlasst werden oder das Verschwinden der mütterlichen HIV1-Antikörper bis zum Ende des 2.Lebensjahres abgewartet werden, um eine HIV1-Infektion des Kindes auszuschließen
Persistieren die HIV1-Antikörper bei dem HIV1-exponierten Kind über das Ende des zweiten Lebensjahres hinaus (zwei oder mehr Banden aus mindestens 2 verschiedenen Bereichen im HIV1-Westernblot), so muss eine HIV1-Infektion angenommen werden. Definitionsgemäß gelten HIV1-exponierte Kinder nach 1 komplett negativen HIV1-Westernblot bei normwertigen Immunglobulinkonzentrationen als HIV1-negativ.
Bei den kurz vor - oder während der Geburt infizierten Kindern (70%) versagt die HIV1-PCR in den ersten Lebenswochen häufig, da die Genomkopien des HI-Virus noch unter der Nachweisgrenze der PCR-Methoden liegen können.
Zudem muss wegen der antiretroviralen Therapie während der Schwangerschaft und der antiretroviralen Prophylaxe nach Geburt mit einer Hemmung der HI-Virusreplikation beim Neugeborenen gerechnet werden, was den Nachweis zusätzlich erschwert.
Im Alter von 14 Tagen liegt die Sensitivität der HIV1-PCR bei der Detektion HIV1-positiver Kinder schon bei 93% und steigt bis zum 3.Lebensmonat auf 99% an. Entsprechend sind bis zum 3.Lebensmonat weiterhin falsch negative HIV1-PCR-Ergebnisse bei HIV1-positiven Kindern möglich.
Daher werden in nationalen und internationalen Richtlinien bei Kindern HIV1-positiver Mütter zwei negative HIV1-PCR zum Ausschluss einer HIV1-Infektion gefordert. Die erste negative HIV1-PCR sollte zwischen erstem und viertem Lebensmonat, die andere nach dem 3. Lebensmonat erfolgen.
Diagnosezeitpunkt: |
Verfahren: |
Aussagekraft |
Nabelschnurblut oder Neugeborenenblut bis 48 Lebensstunden |
PCR |
1) Oft falsch positiv, da durch mütterliches Blut oder inkomplettes, nicht infektiöses HI-Virus verunreinigt,
2) auch falsch negativ, da hauptsächlich nur pränatal (und nicht perinatal) infizierte Kinder erfasst werden |
Nach 48h bis 14. Lebenstag |
PCR |
Sensitivität 38%, daher oft falsch negativ |
Am 14. Lebenstag |
PCR |
93% Sensitivität, 7% falsch negativ |
Am Ende des 3. Lebensmonats |
PCR |
Hohe Sensitivität von 99%, aber noch seltene falsch negative Resultate möglich |
Nach 3. bis zum 12. Lebensmonat |
a) PCR |
a) zuverlässig |
|
b) HIV1-WB + IgG* |
b) bei allen HIV1-exponierten Kindern positiv |
Nach 12. Lebensmonat |
HIV1-WB + IgG* |
Kind negativ, wenn 1x komplett negativ |
PCR = Nachweis von HIV1-DNA oder -RNA durch Polymerasekettenreaktion
HIV1-WB = HIV1-Westernblot
*Parallel zum HIV1-WB sollten immer die Immunglobuline des Kindes bestimmt werden. Der HIV1-WB ist nur bei normalen Immunglobulinen aussagekräftig. Bei Hypogammaglobulinämie kann er falsch negativ sein.
Es ist international empfohlen, auch bei mehrfach negativer HIV1-PCR bei HIV1-exponierten Neugeborenen das Verschwinden der diaplazentar übertragenen, mütterlichen HIV1-Antikörper im HIV1-Westernblot zu kontrollieren. Definitionsgemäß gelten HIV1-exponierte Kinder nach 1 komplett negativen HIV1-Westernblot bei normwertigen Immunglobulinkonzentrationen als HIV1-negativ.
Obwohl die zwei HIV1-PCR (vor - und nach dem 3.Lebensmonat) zur Diagnose bzw. Ausschluss der HIV1-Infektion ausreichend sind, sollte schon im ersten Lebensmonat eine HIV1-PCR (Sensitivität 96%, Spezifität von 99%) durchgeführt werden, da die möglichst frühe Diagnose der HIV1-positiven Kinder aus folgenden zwei Gründen eminent wichtig ist:
- Pneumocystis jirovecii Prophylaxe
- Antiretrovirale Frühtherapie in den ersten Lebensmonaten
1) Pneumocystis jirovecii Prophylaxe:
Die möglichst frühe Diagnose der HIV1-Infektion schon beim jungen Säugling ist wegen der hohen Inzidenz der Pneumocystis jirovecii Pneumonie/(PJP) im Alter von 2-5 Monaten mit einer hohen Letalität und bei Überleben mit einer schlechten weiteren Krankheitsprognose sehr wichtig, da diese Pneumonie durch antibiotische Prophylaxe vermieden werden kann. Wegen der geringen HIV1-Transmissionsrate von 1-2% wird in den meisten deutschen Zentren die PJP-Prophylaxe nicht generell (wie in den USA) bei allen HIV1-exponierten Kindern durchgeführt, sondern nur individuell bei positiver HIV1-PCR oder klinischen Zeichen einer HIV1-Infektion wie Gedeihstörung, Lymphadenopathie, Hepatosplenomegalie oder auffälligen Laborparametern wie Erniedrigung der T-Helferzellen, Erhöhung der LDH etc..
Prophylaxe der Pneumocystis jirovecii-Pneumonie (PJP) in der BRD:
Alter des Kindes: |
Kriterien für PCP-Prophylaxe: |
Dauer: |
Bis 12 Monate |
a) HIV1-exponierte Kinder:
nur bei V.a. HIV1-Infektion!! |
a) bis zum Ausschluß der HIV1-Infektion |
b) alle HIV1-infizierten Kinder
(unabhängig von CD4-Werten) |
b) bis zum Ende des 1.Lebensjahres |
1 bis 5 Jahre |
CD4 <500/µl oder
CD4 <15% |
Bis Grenzwerte in mehreren Untersuchungen überschritten |
6 bis 12 Jahre |
CD4 <200 /µl oder
CD4 <15% |
Bis Grenzwerte in mehreren Untersuchungen überschritten |
Die PJP-Prophylaxe soll mit Trimethoprim/Sulfmethoxazol oral (5mg Trimethoprim/kg/d) 3x pro Woche an 3 aufeinanderfolgenden Tagen (z.B. Fr-Sa-So) oder intermittierend z.B. Mo-Mi-Fr (bei letzterem Schema werden jedoch häufiger Dosen vergessen) durchgeführt werden.
Sie wird erst beendet, wenn die HIV1-Infektion durch HIV1-PCR ausgeschlossen wurde.
2) Antiretrovirale Frühtherapie in den ersten Lebensmonaten
Eine randomisierte klinische Studie aus Südafrika (CHER Trial) hat gezeigt, dass eine Therapieinitiierung vor dem 3. Lebensmonat bei asymptomatischen HIV1-positiven Säuglingen mit einem normalen Immunstatus zu einer deutlich geringeren Mortalität führt als ein Zuwarten bis eine klinische (WHO stage 3 or 4) oder immunologische Verschlechterung (CD4 <25%) eintritt. Auch andere Studien (z.B. European collaborative Study group ) haben den Benefit einer frühzeitigen Therapie im ersten Lebensjahr in Bezug auf Krankheitsprogression und Mortalität bestätigt. Im Säuglingsalter besteht ein hohes Risiko an AIDS-definierenden Symptomen besonders an einer HIV-Enzephalopathie zu erkranken. CD4-Zellzahl und Viruslast sind in dieser Altersgruppe in Bezug auf die Krankheitsprogression wenig aussagekräftig. Konsens ist es, alle Kinder <1 Jahr unabhängig von der Viruslast und unabhängig von der CD4-Zahl zu behandeln.
Die antiretrovirale Frühtherapie in den ersten Lebensmonaten sollte gemäß den Empfehlungen der PAAD zur antiretroviralen Therapie bei HIV-infizierten Kindern (Internetadresse: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/048-011.html/ erfolgen.
Die Empfehlungen sind ausführlich im Kapitel "Antiretrovirale Therapie" dargestellt.